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Wenn man mit Odin geht – Einblicke...
27.05.2017 00:35

Es ist schon über zwanzig Jahre her, da hat ER mich gerufen. Ich hatte es mir nicht ausgesucht. Ich mochte die nordische Mythologie nicht. Sie war mir zu düster und zu brutal. Sie entstammte einer mittelalterlichen Zeit und war von Krieg und Tod durchdrungen, so schien es mir damals.

Trotzdem machte ich 1995 das erste Mal Bekanntschaft mit den Runen, als ich in einen intensiven Prozeß der Sinnsuche und Identitätsfindung eingetreten war als junger Mann.

Ich war sehr gerne alleine draußen in meiner norddeutschen Heimat. War am Elbstrand und in den Wäldern der Geest. In einer schwierigen Lebensphase, in der es ordentlich Reibungspunkte im Elternhaus und der Ausbildung gab, wurde der Schleier des Großen Geheimnisses ein Stück weit für mich gelüftet.

Es gab einen interessanten Esoterik-Laden in der Stadt. Instinktiv spürte ich, dass ich hier etwas finden würde, was sehr wichtig für mich wäre. Dann sah ich sie im Schaufenster liegen: die Runen des Älteren Futharks. Es war ein Kartenset. Sie schienen mich zu rufen.

Ich mußte sie unbedingt haben und kaufte es mir von meinem schmalen Geldbeutel. Heimlich beschäftigte ich mich mit ihnen im stillen Kämmerlein. Sie waren mir vertraut und irgendwie mächtig. Mir fiel kein anderes Wort dafür ein. Ich experimentierte ein Weilchen mit ihnen rum, machte erste Schritte im Orakeln. Machte meinen ersten Binderunen-Zauber. Doch irgendwie lösten sie etwas sehr tiefes in mir aus. Ja, sie hatten eine schwer beschreibbare Kraft. Ich fing an, sehr viel über mein Innenleben und das Leben nachzugrübeln. Es störte mich im Alltag. In meiner Imagination sah ich sie auftauchen. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Schnell verkaufte ich alles, was ich mir über sie besorgt hatte an einen jungen Bekannten, der eine Esoterikerin als Mutter hatte.

Doch ER ließ mich nicht ziehen. In dieser holperigen Lebensphase ließ ER mich nicht in Ruhe, doch ER hielt sich noch im Hintergrund. Einige Monate später kamen sie mit Macht zurück: ich fing an Runen in der Natur zu sehen. Ich sah sie in den Zweigen der kahlen Bäume im Herbst, während ein kalter Wind durch die Gegend brauste. Ich sah sie im Winter in den Steinen, die auf dem Waldboden verteilt lagen. Es war unheimlich. Ich wollte es nicht! Ich hatte Angst! Ich wollte normal sein! Und doch sammelte ich Steine ein, auf denen sie sich mir zeigten. Fiebrig machte ich mich ans Werk. Trotz all dieser Angst hatte ich das Gefühl, dass es sehr wichtig war.

Nach einigen intensiven visionären Erfahrungen hatte ich Schwierigkeiten diese zu verarbeiten. Es war unheimlich und doch vertraut, als ob ich es schon einmal gemacht hätte. Ich hatte überhaupt keine Ahnung von spiritueller, magischer oder schamanischer Arbeit und stolperte von einem Erlebnis ins Nächste. Was widerfuhr mir da? Ich wußte, dass ich irgendwas damit anfangen sollte, nur was?

Meine Suche ging weiter. Ich streckte die Fühler in verschiedene spirituelle Richtungen. Interessierte mich für tibetischen Buddhismus und machte Einweihung mit in das Reiki-System. Dort hatte ich eine tiefe Vision. Ein Wolf und ein Bär erschienen mir im Einweihungsritual. Sie standen mir direkt gegenüber und schauten mich still an. Sie leuchteten in verschiedenen Farben aus sich heraus und standen in einer Art Durchgang zu einem leuchtenden Raum, aus dem viel bernsteinfarbenes Licht hervorging. Wow, dachte ich mir. Ist das schön, doch was hat das alles zu bedeuten?

Ein gutes Jahr später besuchte ich auf Drängen der schamanisch arbeitenden Mutter meiner WG-Mitbewohnerin einen Basis-Kurs der Foundation für Shamanic Studies Europa in Hamburg. Dort traf ich auf einen herzlich-genialen Lehrer und Ältesten. Dieser Lehrer, der leider schon verstorben ist, brachte uns mit einem feinen Sinn für Humor, großer innerer Stärke und Weisheit die grundlegenden Techniken des Core-Schamanismus bei.

Auf dieser Veranstaltung befand ER es nun für richtig, sich mir zu zeigen. Ein weiterer klitzekleiner Bestandteil des Schleiers wurde gelüftet...

Ich erzähte dem Lehrer davon, wie ich mich gerade mit dem inselkeltisch angehauchten Neo-Druidentum beschäftigte. Doch das interessierte IHN nicht. ER zeigte sich mir.

Wir machten unsere erste Reise in die obere Welt zu den Klängen von fast ein Dutzend Trommeln deren Klänge laut durch den großen Seminarraum dröhnten. Ich wurde nach oben gezogen. Und da war ER: Odin höchstpersönlich. Er zeigte sich mir mit einem lustigen, comic-artigen Bild seiner selbst. Vielleicht wollte er mir keine Angst machen und mich deswegen zum Lachen bringen. Vielleicht nahm er mich auch nur auf die Schippe... wer weiss, wer weiss...

„Ich stand in einer großen Festung, die umgeben war von hölzernen Palisaden. Sie leuchtete mit einem goldenen Licht aus sich heraus. Sie schwebte in einem riesigen leuchtenden Raum. Der mich umgebende Himmel drumherum schimmerte in unterschiedlichen irisirenden Farben wie bei einem Opal. Diese Farben flüssigen Lichtes flossen langsam ineinander, lösten sich auf, kamen wieder zum Vorschein und bildeten neue Farbnuanchen. Es war unbeschreiblich schön... Staunend stand ich da, doch plötzlich mußte ich schmunzeln. Nun zeigte ER sich mir. ER saß auf einem Thron. Der Thron hatte diese verschlungenen Ornamente der Wikinger, die ich aus archäologischen Büchern kannte.

ER schaute mich amüsiert an und grinste. ER sah aus wie 70-jähriger, rüstiger Mann mit langem grauen Bart und langen grauen Haaren. Sein eines Auges blitzte knallblau auf, während sein Grinsen breiter wurde. Mit mehreren schnellen Handbewegungen hob er eine schwarze Piraten-Augenklappe an und schob sie wieder vor sein linkes Auge. ER trug einen eisernen, zum Schädeldach spitzzulaufenden Wikingerhelm, der ebenfalls diese Ornamente als Verzierung hatte. Ich stand vor ihm und beobachtete sein komisches Treiben. Plötzlich hielt er eine Art Zepter in der Hand. Mit diesem Zepter machte er schnelle Drehbewegungen. Ich wurde in dieses Zepter gesaugt und sauste in Spiralbewegungen durch das Zepter wieder nach unten in unsere gewöhnliche Realität.“

Als ich wieder angekommen war, war ich irgendwie euphorisiert, doch was hatte das alles zu bedeuten??? Blöde fragte ich unseren Lehrer, der kurz inne hielt. Auch er schien leise zu schmunzeln und meinte bloß: „Es ist kein schlechtes Zeichen, was sie dort erlebt haben. Wie deuten Sie es?“ Ich: „Öööh...keine Ahnung???“

Nunja...einige Jahre später bin ich schlauer geworden und weiss genau, was die Weisen damit meinen, wenn sie sagen, dass man, je mehr man weiss, erkennt, dass man eigentlich gar nichts wirklich weiss und alles ein großes Geheimnis ist...Eigentlich paradox, oder? Ach...ich geh jetzt erstmal eine lustige, rabenschwarze Komödie schauen: man nennt sie Leben...

 

© by Niels Vorwerk

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